Den Vertrag unterzeichneten (von links) Jürgen Mann (Kaufmännische Schulen), Maike Trentin-Meyer (Deutschordensmuseum), Sabine Kutterolf-Ammon (Stiftung Jüdisches Museum Creglingen), Roy Igersheim, Erhard Ikas (Manfred Schaffert-Bürgerstiftung Igersheim), Adele Igersheim und Bürgermeister Frank Menikheim.
© Kuhnhäuser
Die Bildungspartnerschaft „Aufarbeitung des Holocaust“ wurde zum Auftakt der Jüdischen Kulturtage in Igersheim verlängert.
Igersheim. Im Jahre 2010 begann die Bildungspartnerschaft „Aufarbeitung des Holocaust“ zwischen dem Ehepaar Roy und Adele Igersheim aus Rockville / Maryland (USA) und der Gemeinde Igersheim, der Manfred-Schaffert-Bürgerstiftung sowie der Igersheimer Johann-Adam-Möhler-Schule, die jedoch nach den Sommerferien wegfällt. Zwischenzeitlich kamen mit den Kaufmännischen Schulen und dem Deutschordensmuseum aus Bad Mergentheim weitere Bildungspartner dazu. Auch die Stiftung Jüdisches Museum Creglingen ist mit im Boot. Bei der Auftaktveranstaltung der „Jüdischen Kulturtage 2018“ am Freitagabend im Igersheimer Bürgerhaus wurde der Vertrag über die Bildungspartnerschaft erneut unterzeichnet und damit verlängert.
Das Ehepaar Igersheim hatte davor zu einem Sabbat-Dinner geladen. Diese jüdische Zeremonie sei, so Bürgermeister Frank Menikheim, „ein besonderes Erlebnis für uns Nichtjuden“ und ein ganz besonderer Beitrag zur Bildungspartnerschaft, denn die jüdische Kultur kennenzulernen, ist eines deren Ziele. In der Überschrift des Vertragstextes heißt es: „jüdischer Kultur begegnen, Holocaust verstehen“.
An dem Abend wurde auch der Auftakt der „Jüdischen Kulturtage 2018“ wurde zelebriert. Diese Veranstaltungsreihe wird heuer zum zweiten Mal in Igersheim, Bad Mergentheim und Creglingen mit Workshops, Vorträgen, Filmvorführungen, Führungen, Konzerten und Lesungen Austausch und Begegnung ermöglichen.
Der Projektchor „Sing for Fun“ unter Leitung von Michael Schlor mit „Kol dodi“, und „Hava Nagila“ sowie die Sängerin Iona Theofilou, begleitet von Paul Rückert am Keyboard, mit „Donna Donna“ ergänzten den Abend musikalisch.
Bürgermeister Menikheim schlug den Bogen von der Vergangenheit, als „Respekt“ und „Empathie“ in Deutschland keine gelebten Werte mehr waren hin zum Heute. Nun müssten die einst geschmähten Werte wieder mit neuem Leben erfüllt werden – „beispielsweise im Umgang mit Flüchtlingen, aber auch in der Verantwortung für unsere globalisierte und somit klein gewordene Welt“. Die Deutschen könnten aus ihrer Geschichte heraus „genau nachvollziehen, wie schnell und radikal der Umbau eines Staates von einer Demokratie in eine Diktatur vonstattengehen kann, wenn ein Volk jegliche Schwarmintelligenz vermissen lässt und bei Wahlen die Macht an jene vergibt, denen Respekt und Empathie fehlen“. Bei aller Toleranz für Andersdenkende, andere Religionen und andere Kulturen: „Menschen, die über Leichen gehen, müssen wir das Handwerk legen.“ Die Demokratie stelle das dafür nötige Rüstzeug. Wenn Demokratie und deren Werte bis in jede Familie hinein immer wieder in Erinnerung gerufen werden „wie bei uns in Igersheim, dann bin ich überzeugt, dass solche Horrorentwicklungen wie vor 80 Jahren von ganzheitlich gebildeten Menschen, die im Alltag leben, Demokratie, Grund- und Menschenrechte kennen und schätzen, gestoppt werden.“ Er hoffe, so Menikheim weiter, dass die Bildungspartnerschaft und die Kulturtage noch viele Jahre wertvolle Impulse für ein gelingendes Miteinander von Kulturen und Religionen gebe.
Mit einem auf Englisch gehaltenen Vortrag gab der Rektor der Johann-Adam-Möhler-Schule, Rainer Iwansky, einen Rückblick auf „neun Jahre Bildungspartnerschaft und neun Jahre Auseinandersetzung mit dem Holocaust“. Es sei eine beeindruckende Erfahrung gewesen, als Roy und Adele Igersheim ihre Motivation für dieses Projekt darlegten. Und Iwansky erinnerte sich an Roys Worte „Ich bin ein Igersheimer!“ Beim Start mit Max Mannheimer sangen die Schüler das „Moorsoldaten“-Lied. Iwansky hob den Besuch von Roy und Adele Igersheim bei arabischen Flüchtlingen hervor. Die Bildungspartnerschaft habe tiefe Spuren bei den Schülern hinterlassen, die jährlichen Besuche im KZ Dachau hätten die Neuntklässler stets beeindruckt. Das wurde auch durch ausgewählte Schüler-Gedichte und -Zitate deutlich. Iwansky machte deutlich, dass Trumps Wahl ein Rückschlag für die Welt sei, dass man aber dennoch im kleinen Rahmen Gutes tun könne. Das Bildungsprojekt sei dafür ein Beispiel, Trotz aller Rückschläge und einer immer komplizierter werdenden Welt mit mehr Egoismus gebe es Hoffnung. Das war die Botschaft von Roy und Adele Igersheim, die sich als Stifter des Bildungsprojekts immer wieder in Igersheim aufhalten. Heuer sind sie auch als Schirmherren der „Jüdischen Kulturtage“ aktiv. „Das Bildungsprojekt wirkt“, sagten beide.
Den „Einfluss jüdischer Persönlichkeiten und ihres Wirkens auf den Bildungsweg eines im 20. Jahrhundert geborenen Deutschen“ schilderte der Historiker und ehemalige Lehrer am Deutschordens-Gymnasium Hartwig Behr, ein profunder Kenner jüdischer Geschichte im Altkreis Mergentheim. „Heute werden antisemitische Taten in der Regel in den Medien aufgegriffen. Hingegen wurde, als ich ein Kind war, in meiner Umgebung in Uetersen (Schleswig-Holstein) kaum über Juden und Judentum gesprochen. Auch nicht im Gottesdiens oder im Konfirmandenunterricht. Über Juden gesprochen wurde nur in einer „verdrucksten und antijüdischen Art“. Ein Moment in den 50er Jahren blieb den jungen Hartwig Behr im Gedächtnis, denn sein Vater berichtete von einer Geschäftsreise nach London, wo er mit einem Mr. Goldsmith sprach. Der redete, wenn keine Briten mehr im Raum waren, deutsch. „Ich merkte, dass etwas Besonderes an diesem Mr. Goldsmith sein musste, der offenbar nicht wollte, dass seine englischen Kollegen ihn als den früheren Herrn Goldschmidt erkannten.“
Selbst das Gymnasium trug damals nicht dazu bei, etwas über Juden zu lernen. „Manches erschloss sich mir erst später, etwa, dass meine Deutschlehrerin Hanna Weil wohl Jüdin war.“ Als Zwölfjähriger sah Behr 1956 im Fernsehen „Nathan der Weise“. „Aber das habe ich damals noch nicht verstanden.“ Erst in der Oberstufe wurde er auf das Thema Juden in Deutschland aufmerksam – durch Texte von Gotthold Ephraim Lessing, Heinrich Heine, Franz Kafka und Kurt Tucholsky oder Max Frisch. Der Geschichtslehrer Dr. Schuhmacher „brachte Quellen zum Holocaust mit in den Unterricht. Dr. Schuhmacher klärte uns über den Massenmord auf. Das war 1962/63 nicht üblich.“
© Fränkische Nachrichten, Montag, 07.05.2018